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Persönliche Assistenz

Was ist Persönliche Assistenz?

Viele behinderte Menschen können wegen ihrer Beeinträchtigung viele Tätigkeiten nicht oder nur unter großen Mühen selbstständig durchführen. Deshalb brauchen sie zur Bewältigung ihres Alltages - z.B. in der eigenen Wohnung, in der Schule, am Arbeitsplatz oder für die Freizeitgestaltung - Unterstützung durch andere Menschen für diese Tätigkeiten. Eine besondere Form dieser Unterstützung ist die Persönliche Assistenz.

 

Hier entscheidet der behinderte Mensch selbst,

  • von wem die Hilfen erbracht werden (Personalkompetenz),
  • zu welchem Zeitpunkt die Hilfen erbracht werden (Organisationskompetenz),
  • über Art, Umfang und Ablauf der Hilfen (Anleitungskompetenz),
  • wo die Hilfen erbracht werden (Raumkompetenz).

 

Außerdem haben bei Persönlicher Assistenz die AssistenznehmerInnen die Kontrolle über Herkunft und Verwendung des Geldes, das im Zusammenhang mit den erbrachten Hilfen gezahlt wird (Finanzkompetenz).

 

Das Konzept der Persönlichen Assistenz wurde Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre entwickelt. PionierInnen dieses Konzeptes waren Körperbehinderte, die einen so erheblichen Hilfebedarf hatten, dass man fast selbstverständlich davon ausging, dieser sei nur in stationären Sondereinrichtungen einzulösen. Es gab zwar Sozialstationen, die theoretisch in der Lage waren, die Hilfe im angemessenen Umfang auch außerhalb von Einrichtungen zu leisten; deren Unterstützung orientierte sich aber mehr an den eigenen betrieblichen Bedürfnissen und eingefahrenen Arbeitsweisen und nicht an den Bedürfnissen der „KundInnen“. Die PionierInnen der Persönlichen Assistenz machten aus der Not eine Tugend: Sie waren gezwungen, sich ihr Hilfesystem selbst aufzubauen; das machte es ihnen aber auch möglich, dieses System nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten, allerdings häufig erst nach langen Kämpfen und oft in einem engen finanziellen wie personellen Rahmen.

Damals wie heute war und ist das Konzept der Persönlichen Assistenz revolutionär, weil es die Bedürfnisse und Fähigkeiten von uns Behinderten in den Mittelpunkt rückt und damit die Behindertenhilfe vom Kopf wieder auf die Füße stellt.

 

Das Konzept war erfolgreich und unter behinderten Menschen populär - davon wollten viele Einrichtungen der Behindertenhilfe profitieren, indem sie das Konzept ganz oder teilweise für ihre Arbeit übernahmen, vielfach aber nur bereits bestehende Angebote werbewirksam mit dem Etikett „Assistenz“ versahen. Deshalb ist der Begriff der Assistenz schwammig geblieben, im Unterschied zur Persönlichen Assistenz, wo es der SelbstBestimmt-Leben-Bewegung weitgehend gelungen ist, sich auf eine einheitliche Definition zu einigen und diese im allgemeinen (Fach-)Sprachgebrauch durchzusetzen. Und das ist wichtig und notwendig, um alle Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Konzeptes erkennen und diskutieren zu können und für die Probleme, die es natürlich auch bei der Persönlichen Assistenz gibt, gute Lösungen zu finden.

Persönliche Assistenz in Bremen

Die Bremer Verhältnisse zeigen, dass Persönliche Assistenz immer nur so gut sein kann wie die Rahmenbedingungen es zulassen.

Wenn beispielsweise eine körperbehinderte Frau ihre Hilfen als Persönliche Assistenz organisieren will, so kann sie sich ihre AssistentInnen selbst suchen und direkt bei sich anstellen. Dieses Modell wird auch ArbeitgeberInnenmodell genannt, weil die behinderte Frau gegenüber ihren AssistentInnen alle Rechte, aber auch alle Pflichten einer Arbeitgeberin hat. Das ArbeitgeberInnenmodell wird von vielen als ideal angesehen, weil es - zumindest in der Theorie - die meisten Gestaltungsspielräume bietet.

 

Doch in Bremen sieht die Praxis etwas anders aus: Muss nämlich das Amt für Soziale Dienste die Kosten für die Assistenz ganz oder überwiegend tragen, dann wird der Frau hierfür nur so viel Geld zur Verfügung gestellt, wie im Rahmen der Nachbarschaftshilfe gezahlt wird. Das ist aber so wenig, dass sie ihre AssistentInnen nicht zu Bedingungen einstellen kann, die arbeits-, sozial- und steuerrechtlich korrekt wären. Es bleibt das Ausweichen in die Schwarzarbeit: In dieser Form ist das ArbeitgeberInnenmodell zwar illegal, aber weil es so unbürokratisch ist und auch für die beschäftigten AssistentInnen Vorteile zu haben scheint, hat es sich doch als sehr robust herausgestellt. Doch die Illegalität ist mit einem Risiko verbunden, das die AssistenznehmerInnen allein zu verantworten haben.

Statt selbst formal als Arbeitgeberin aufzutreten, kann die Frau sich auch an einen der drei Dienste wenden, die in Bremen in der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) arbeiten. Zu ihnen gehört auch die Assistenzgenossenschaft Bremen. Die „AG“ wurde 1990 gegründet mit dem Ziel, Persönliche Assistenz auch für Behinderte zu ermöglichen, die den Verwaltungsaufwand, der mit der legalen Form des ArbeitgeberInnenmodells verbunden ist, scheuen bzw. davon überfordert wären oder die außerdem weitere Unterstützung bei der Suche und Anleitung der AssistentInnen sowie bei der Dienstplangestaltung brauchen.

Zur Zeit besteht die Chance, dass sich neue Wege in der Organisation der Persönlichen Assistenz über die Nutzung des Persönlichen Budgets eröffnen. Wie gut oder schlecht diese gelingen, hängt u.a. auch von den finanziellen Rahmenbedingungen ab, welche die Kostenträger –allen voran die Ämter für Soziale Dienste- bereit sind zu übernehmen.


Persönliche Assistenz - zumal, wenn sie nicht in der Billigvariante Nachbarschaftshilfe und damit häufig auch als Schwarzarbeit daherkommt - ist nicht gerade billig. Das Amt für Soziale Dienste als wichtigster Kostenträger versucht darum, auf verschiedene Weise die Kosten niedrig zu halten: durch möglichst niedrige Stundensätze, durch eine restriktive Bewilligungspraxis oder die Aufsplittung der Hilfen: die Pflege macht die ISB, die übrigen Hilfen die Nachbarschaftshilfe. Persönliche Assistenz braucht aber vernünftige Rahmenbedingungen - auch und gerade finanzielle.

 

Persönliche Assistenz ist in Bremen etwas in die Jahre gekommen. Die vor über 15 Jahren formulierten Kompetenzen, deren Beachtung Selbstbestimmung ermöglichen sollte, scheinen den Assistenzdiensten, vielen AssistenznehmerInnen und auch den AssistentInnen nicht mehr so wichtig zu sein. Wir haben aber auch den Eindruck gewonnen, dass sich das Verständnis von Persönlicher Assistenz geändert hat: Was ursprünglich die Beschreibung einer Arbeitsbeziehung mit gegenseitigen Rechten und Verpflichtungen zwischen AssistenznehmerInnen und AssistentInnen war, in denen Assistenzdienste nur eine vermittelnde und unterstützende Rolle hatten, ist häufig zu einer Beziehung KundIn - LieferantIn zwischen AssistenznehmerInnen und Assistenzdienst geworden, in der eine möglichst qualifizierte und pflegeleichte AssistentIn (oder Assistent) Teil der Lieferung ist.

 

Vielleicht hat dieser Wandel mitunter zu mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität der AssistenznehmerInnen beigetragen. Doch ein solches Konsumverständnis stößt - das zeigen die Erfahrungen - schnell an Grenzen. Wir sind davon überzeugt, dass auf Dauer Persönliche Assistenz und ähnliche Assistenzkonzepte nur ihren hohen Stellenwert für die Selbstbestimmung des Einzelnen behalten oder bzw. wiedergewinnen können, wenn die gemeinschaftliche Verantwortung aller Akteure am Gelingen von Persönlicher Assistenz wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt wird, auch wenn das an Grenzen und Tabus rührt. Gerade die Beschäftigung mit den Tabus - z.B. was ist, wenn jemand seine Fähigkeit zur Organisation und Anleitung verliert? - ist wichtig, wenn wir das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben nicht nur für eine Elite durchsetzen wollen.

Die Rahmenbedingungen müssen stimmen und auch das Verständnis darüber, was Persönliche Assistenz ausmacht. Dann hat Persönliche Assistenz in Bremen eine Zukunft. Dafür setzen wir uns ein.



Autor: root -- 21.06.2018; 16:46:50 Uhr

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